Weblog von Johannes Gelich - Fahrt nach Hamlesch Drucken
Geschrieben von: Michael Weber   

Im Zug nach Hamlesch sitzen Zigeuner in unserem Abteil, der Schaffner kommt herein, auch er vielleicht einer der ihren, entwertet unsere Fahrkarten, schaut unsere Mitreisenden an, und verschwindet ohne ihre Karte zu ueberpruefen, eine halbe Stunde spaeter beobachte ich, wie der Zigeuner-Junge ihm am Gang - sehr unauffaellig - einige Scheine zusteckt, somit

ist beiden geholfen. Mick erklaert, dass etwa 40% der Zugpassagiere dem Schaffner etwas zustecken; da hat die EU also ein schoenes Betaetigungsfeld fuer ihre Antikorrupitonseinheiten; aber was, wenn so ein (etabliertes) System gerade dazu dient, alle, auch die Aermsten, in ihren Moeglichkeiten am Alltag teilhaben zu lassen, an der Mobilitaet, an allem, was als die Grundbeduerfnisse zu bezeichnen waeren, so wie lange Zeit, und teils auch noch heute im rumaenischen Gesundheitswesen, wo Patienten Aerzten etwas zusteckten oder, wenn man nichts anderes hat, schon einmal ein Huhn mitbrachten. Ist das amerikanische System tatsaechlich so anders, wo Leute - wer mehr zahlt, kommt zuerst dran - aus privater Tasche den Aerzten allerdings exorbitante Summen fuer Behandlungen und Operationen zustecken. Wo ist da das funktionierende, gerechte, nicht korrumpierte Gesundheitswesen? Korrumpiert ist beides.
Der Uebersetzer fragt sich, in welchem Zug Tanja Dueckers gesessen haben will, wenn sie in ihrem schoenen Essayband mit Texten ueber Bukarest und Hermannstadt von der Modernitaet der rumaenischen Zuege schwaermt. Sie sind zwar modern, aber ihre Gepaeckfaecher, obwohl es sich um Fernzuege handelt, sind so klein dimensioniert wie jene von S-Bahn-Garnituren. Das Gepaeck quillt ueberall heraus, muss zwischen die Beine in den engen Freiraeumen vor den Sitzen genommen werden.
Auf dem Fussmarsch von Saliste nach Hamlesch nimmt uns ein Mann in einem Gelaendewagen mit, er hat Mtleid gehabt, sagt er laechelnd, weil wir beide gehinkt haetten. Er ist in Temeswar geboren und hat in Texas, New York und wo sonst noch als Moebeltischler gearbeitet. Hier wird man leicht mitgenommen, erklaert Michael, es kommt selten vor, dass mich keiner mitnimmt, und ich den ganzen Weg zum Bahnhof Saliste laufen muss.
Als wir im Hof der Familie Astner in Hamlesch, zu Rumaenisch AMNAS ankommen, laufen wir als erstes in den Garten, der sich hunderte Meter nach hinten erstreckt, und essen von den sonnenwarmen Himbeeren, die teilweise schon reif sind, dann klauben wir Aepfel auf, der Uebersetzer aergert sich, dass die Nachbarn nicht wie vereinbart das hohe Gras gemaeht haben. Sie haben eine Vereinbarung: die Nachbarn maehen das Gras und bekommen dafuer das Heu. Draussen riecht es verbrannt, und Michael erkennt den Geruch sofort: Das sind Huehnerfedern, die habens gut, bekommen ein frisches Huhn auf den Teller. Er zeigt mir das Haus, den Schuppen, wo auch das grosse Fass fuer den Schnaps steht: das Nebengebaeude hat der neuerdings im Dorf viel beschaeftigte Zimmermann repariert. Die Mutter des Uebersetzers ist nach der Wende weggegangen, wegen der Kinder, sie ist jetzt 82 und lebt in einem Pflegeheim in Freiburg. Sie wuerde schon noch einmal gerne zurueck nach Hamlesch kommen, aber es muss nicht sein, und wer von den Geschwistern wuerde sich dieser Strapaze unterziehen?
Den alten VW, der jahrelang unbenutzt im Schuppen stand, hat Michael vor Jahren dem Pfarrer billig verkauft. Komischerweise schaut er ihn seit damals gar nicht mehr an, wenn er mit dem VW vorbeifaehrt.
Als wir zu den Nachbarn gehen, um sie zu begruessen, bekommen wir Brombeeren und Eier in einem Nylonsack, den Michael spaeter, als wir wieder auf seinem Hof sind, wiedererkennt: Wenn er aus Iasi oder Deutschland nach Hamlesch kommt, bringt er den Nachbarn immer Nylonsaecke mit, die er etwa vom Kaufland in Iasi sammelt, jetzt geben ihm die Nachbarn ihre Brombeeren und Eier in seinem Kaufland-Nylonsack wieder zurueck. Waehrend des Besuchs bemerke ich, dass ich nicht weiss, was ich mit meinen Haenden machen soll, es erscheint mir absurd sie wie gewohnt in den Taschen der Short zu vergraben. Der etwa 70-jaehrige Nachbar weiss auch nicht, was er mit seinen Haenden machen soll: Er hat Parkinson und die Haende wippen unkontrolliert auf seinen Oberschenkeln auf und ab. Seine Krankheit ist ein Katastrophe fuer die Familie, er kann nichts mehr arbeiten, kein Gras mehr maehen, und das Heu holt auch keiner herein.

*Amnaş (deutsch Hamlesch, ungarisch Omlás) ist ein Ort in Siebenbürgen/Rumänien und ist nördlich der Nationalstraße Nr. 1 zwischen Sebeş (Mühlbach) und Sibiu (Hermannstadt), im Unterwald gelegen. Politisch-administrativ gehört es heute zur Stadt Sălişte (dt. Selischte). Der Ortsname Hamlesch stammt von dem ungarischen Wort „Omlás“, was „Rutschung“ bedeutet. Weitere urkundlich bezeugte Namen sind: 1309 Omlas, Humlesz; 1378 Homlas; 1460 Omlus, Omlascha; 1492 Homlosch. Die Gründung von Hamlesch gehört sehr wahrscheinlich auch zur ersten Ansiedlungswelle deutscher Siedler, die zum Schutz der ungarischen Krone in den Jahren 1141-1161 von König Géza II. nach Siebenbürgen gerufen wurden. Erwähnt wird bereits bei den Tatareneinfällen (1242) „Das Städtchen vor dem dunklen Walde“, welches an einem Sonntag im April zerstört wurde und ca. 1 km vom jetzigen Ortskern entfernt liegt. Die ehemals mehrheitlich von evangelischen Siebenbürger Sachsen bewohnte Ortschaft war namensgebend für das mittelalterliche „Hamlescher Lehen“ und fungierte vermutlich zeitweilig als dessen administrativer Hauptort. Das „Hamlescher Lehen“ wurde im 14. und 15. Jahrhundert vorübergehend an die Woiwoden der Walachei (unter anderem Mircea cel Bătrân) vergeben. Ab Ende des 15. Jahrhunderts war Hamlesch wieder Teil des siebenbürgisch-sächsischen politischen Einflussbereiches Hermannstadts (Wikipedia).

 

Quelle: Weblog von Johannes Gelich